Montag, 19. Oktober 2009

Wir haben's

Nun sind die bahnhofsuhrgroßen Gesichter längst wieder von den Wänden entthront, die Laternenpfähle befreit, die Flyer in den Kehrmaschinen verschwunden und die Spam-Mails gelöscht, Siegerjubel und Verliererklage sind den nächsten Streitthemen gewichen, der Koalitionspoker ist fast geschafft, und die Freiheitlich-Demokratische Unordnung geht in eine neue Runde.
Von der Doppelwelle Wahlwerbung unsanft überrollt, erstmal kräftig nach Luft geschnappt, inzwischen wieder zu Atem gekommen, und jetzt doch ein kurzer Blick über die Schulter, der zum Vergessenshorizont eilenden Welle hinterher: an welches Wahlplakat kannst Du Dich denn jetzt noch erinnern?
Naja, es kann ja auch nicht jedes so perfekt sein wie dieses von - weiß nicht genau - 2002 oder so:


Zumindest 2 Laternenpfahlplakate zur Bundestagswahl haben die Eingangskontrollen zu meinem Langzeitgedächtnis überwunden. Beide prahlen unter einem Frauenportrait mit selbstbewusstem "Wir haben..." - und das war's dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten.

Es war einmal... Umzug. Karton um Karton, Kleinmöbel, Sitzgruppe, Schrank, Kühlschrank, Waschmaschine, alles zwei Stockwerke treppab und noch ein Stück die Straße lang bis wo Platz für den Anhänger war. Spüre schon beim dritten Karton meinen konsequenten Sportverzicht, und jeder folgende scheint schwerer zu werden. Und jedesmal begegne ich ihr, und freundlich sieht sie mich an und lächelt mir ihren unglaublich passenden Slogan entgegen: "Wir haben die Kraft". Ach, danke...


Das andere war unverkennbar Satire, ganz sicher, das kann gar nicht anders gemeint sein. Schon durch strikten Verzicht auf Ästhetik wird die Verwechslung mit echter Werbung weitgehend vermieden. Wo das noch nicht reicht, sorgt der streitlustige "Na-was-willst-Du-denn"-Blick der unvorteilhaft porträtierten Dame für letzte Klarheit: dieses Plakat will Distanz. Und aus der lese ich (unter einem Namen, den sich keiner merkeln kann): Kanzlerkandidatin. Na gut, der Witz ist nicht ganz neu, "isch kandidiere", das ist ja doch schon eher ein Klassiker bei Wahlsatire. Aber der Slogan ist die Krönung, absolut unübertroffen, so ein genialer Einfall...