Donnerstag, 23. Januar 2014

Beten

Heute ist mir ein schöner, tiefer, lebendiger, dichter Text (wieder-)begegnet, den ich mitnehmen möchte in die nächsten Tage:

Beten
indem man atmet
nachdenkt
die Augen schließt
sich verwahrt
sich auftut und schaut
plant organisiert
es gut machen will
die Sache einrenkt
weiterdenkt
Beten im Gehen
auf eigenen Beinen
auf dieser Straße
in und mit dieser Welt
Gebet als Arbeit
die Phantasie
und die schwielige Hoffnung
die Aufmerksamkeit
der innere Ruck
das Telefongespräch
oder am Reißbrett
am Schalter am Schreibtisch
die Feile in der Hand
die Schürze um
Beten im Alltag
in allem und jedem
zu Hause das Glück
das Glas in der Hand
Umarmung im Schweiß
Gebet mit der Haut
mit den Fingern der Zunge
geflüstert gestreichelt
verströmende
sich vergessende Andacht
das Einssein der Puls
die Mitternachtsmette
und der Morgen in Grau
das Augenreibgebet
auf ein Neues mach‘s gut
und ach Gott und nur so
und doch
einfach Vertrauen

Lothar Zenetti

Sonntag, 5. Januar 2014

Salz und Licht

Ihr seid für die Welt wie Salz. Wenn das Salz aber fade geworden ist, wodurch soll es seine Würzkraft wiedergewinnen? Es ist nutzlos geworden, man schüttet es weg, und die Leute treten darauf herum.

Ihr seid das Licht, das die Welt erhellt. Eine Stadt, die hoch auf dem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet ja auch keine Öllampe an und stellt sie unter einen Eimer. Im Gegenteil: Man stellt sie so auf, dass sie allen im Haus Licht gibt. Genauso soll euer Licht vor allen Menschen leuchten. Sie werden eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel dafür loben.
(Matthäus 5, 13-16)

Das war der Bibeltext, um den es im Gottesdienst meiner Gemeinde heute Morgen ging. Viele gute Gedanken in der Predigt dazu. Wie wird das denn konkret mit der Kirche als Salz und Licht in dieser Welt? - Am meisten beeindruckt haben mich diese Zeilen:

Ich träume von einer Gemeinde...

Ich träume von einer Gemeinde,
in der Menschen von dem erfüllt sind, was sie hier tun und erleben,
sich gerne einbringen und Gottes gute Gaben in ihrem Leben weitergeben an andere.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der Lachen und Fröhlichkeit zu hören sind,
die feiern kann.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der Menschen erzählen von dem,
was Gott für, an und mit ihnen getan hat,
die etwas zu sagen haben aus ihrem Alltag mit Gott.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der das Leben miteinander geteilt wird,
in der es Menschen gibt, die sich dafür interessieren,
wie es mir geht und die ich frage, wie es ihnen geht.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der die Alten nicht einsam und
die Jungen nicht orientierungslos sind,
in der die Schwachen ihre Schwachheit als Stärke erleben
und niemand sich über den anderen erhebt.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der Menschen ein zu Hause haben oder finden,
weil Gott hier wohnt.

Ich träume von einer Gemeinde,
die bunt ist, in der die Farben des Regenbogens leuchten
und sich alle daran erfreuen.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der Vergebung gelebt wird
und die Kraft des Evangeliums stärker ist als Macht, Lüge und Neid.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der Menschen von Gott reden, wie von einem,
den sie persönlich kennen.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der jede das einbringt, was ihr leicht fällt,
leicht von der Hand geht,
in der jeder tut, was ihm liegt,
nämlich am Herzen.

Ich träume von einer Gemeinde,
die ganz.schön.offen ist. (*)
Schön ist sie jetzt, die Hoffnungskirche.
Ich träume, dass sie offen ist für neue Ideen und Visionen,
für Gottes Schöpferkraft.

Ich träume von einer Gemeinde,
in der die Liebe stärker ist als der Tod.

Christiane Henkel

(*) "ganz.schön.offen": Motto der Bielefelder Hoffnungskirche seit dem Renovierungsumbau

Donnerstag, 2. Januar 2014

Ein altes Gebet

Lass mich am Morgen hören deine Gnade; denn ich hoffe auf Dich. Tu mir kund den Weg, den ich gehen soll; denn mich verlangt nach dir.
(Psalm143,8)

Das ist der Monatsvers für diesen Januar. Alte Worte, in dieser Lutherübersetzung zwar eingängig, aber auch etwas altmodisch-steif. Als ich sie länger auf mich wirken lasse, entdecke ich viel Leben und Beziehung darin, und ich bekomme Lust, sie auszumalen und das Psalmgebet weiterzuspinnen in unseren Alltag hinein.

Lass mich am Morgen hören deine Gnade...

Früh am Morgen höre ich den ersten Lärm des dämmernden Tages, aber auch seine Musik. Weckerpiepen, Vogelsingen, Nachbarn im Treppenhaus, Kinder auf dem Schulweg, eine oder zwei Elstern, das Radio, Nachrichten, zum Glück immer noch kein Weltuntergang, Moderatoren-Smalltalk, ein lange nicht gehörtes Lieblingslied, uralte Erinnerungen, die Baustelle am Ende der Straße, Autos auf nassem Asphalt, die Katze an der Schlafzimmertür will Futter.

Früh am Morgen höre ich die inneren Stimmen. Die Sorgen sind wieder mal als erste wach. Verrührte Gedanken, ganz schön durcheinander, ein kleines Glück von gestern, ein bescheidener Erfolg, einzelne Menschen, verschiedene Begegnungen, eine zarte Vorfreude, dann wieder die Aufgaben für heute, ein lästiger Termin, unerledigt gebliebenes.

In all dem überhöre ich leicht deine Stimme, deinen Zuspruch, dein beharrliches aber niemals aufdringliches „Ich bin da“. Dich herauszuhören will ich üben, immer wieder, immer neu, immer auch darauf angewiesen, dass du dich zu verstehen gibst.

Manchmal höre ich, wie der Hahn zum zweiten Mal kräht. Wenn ein Fehler, eine Schuld unüberhörbar aus dem Gestern hervorsticht, ein Misston, den ich gern herausschneiden würde. Gerade dann fällt mir das Hören oft schwer, scheint das Rauschen lauter. Gerade dann bist Du da, unbeirrbar.

denn ich hoffe auf dich.

„Hoffentlich wird das Wetter gut“ denke ich, und „hoffentlich kriege ich heute dieses Projekt abgeschlossen“. Und „hoffentlich bist du, Gott, an diesem Tag bei mir“? Nein, das passt nicht. Ich will dich nicht zum Kumpelgott machen, mit dem mein Leben eben netter ist als ohne. Ich will Dich nicht als Sonnenscheingott für's Wochenende, und nicht als Glücksgott, mit dem mir die Alltagsarbeit besser von der Hand geht. Hoffentlich will ich das nie...

„Ich hoffe“ vieles, alltäglich, leicht gesagt, fast ohne es zu merken. Und wenn es regnet, nehme ich eben die Regenhose. Und wenn ich eine Aufgabe heute nicht fertig bekomme, muss ich wohl morgen damit weitermachen. Und wenn du, Gott, nicht bei mir bleibst,...

So eben nicht. „Ich hoffe auf dich“ meine ich anders. Ich habe keinen Plan B. Es gibt keinen. Wenn du nicht mein Leben trägst, zerrinnt es mir zwischen den Fingern, bleibt letzten Endes nichts davon. Wenn du mir nicht gnädig bist, stehe ich am Abgrund. Wenn nicht du – dann niemand. Ich auch nicht.

Tu mir kund den Weg, den ich gehen soll...


Hier stolpere ich. Ein Schritt zurück, heraus aus dem Gebet: was meine ich, wenn ich diese Bitte mitspreche? Was erwarte ich von Gott? Was für ein Bild habe ich von Gott, den ich so bitte? Ein paar Gottes-Skizzen:

Gott als Navi: er kennt den ganzen Weg in allen Einzelheiten und sagt mir an jeder Wegkreuzung, wie ich abbiegen muss. Solange ich jede Ansage beachte, komme ich auf dem kürzesten Weg ans Ziel. Ansonsten höre ich so lange „Bitte wenden!“, bis ich wieder in der Spur bin. Bitte funktioniere einfach weiter...

Gott als Orakel: er kennt wohl den ganzen Weg, spricht aber wenig, und wenn, dann in Rätseln. Die eigentliche Herausforderung des Glaubens ist, möglichst viele seiner kostbaren Hinweise einzusammeln und dann auch noch richtig zu deuten. Bitte drücke dich doch ein bisschen klarer aus...

Gott im Buch: alles was ich brauche ist längst aufgeschrieben. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“ (Micha 6,8). Die Leitplanken und Wegweiser sind gesetzt. Bitte hilf mir, die uralten Texte richtig zu verstehen...

Nein, es muss noch um etwas anderes gehen. Ein anderes Bild geht mir durch den Kopf: Gott als ortskundiger Begleiter in einer fremden Stadt, der mir nicht nur navigieren hilft, sondern auch, Land und Leute zu verstehen und zu lieben. Der nicht nur sagt „da entlang musst du gehen“, sondern eher „komm mit, ich will dir etwas zeigen“ und „diesen Menschen solltest du kennen lernen“. Ein Mit-auf-dem-Weg-Gott, der sagt „sieh mal, das habe ich für dich erschaffen“ und „hier brauche ich jetzt deine Hilfe“. Diesen Gott bitte ich: nimm mich mit auf deinen Weg, zeig mir die Welt mit deinen Augen.

...denn mich verlangt nach dir.

Denn das ist der Weg, den ich suche: zu dir, Gott, und an deiner Seite. Eigentlich. Meistens. Manchmal. In meinen besten Momenten. Denn wenn ich ehrlich bin, ist mein Verlangen eine ziemlich bunte Mischung, und oft ist darin mehr Sehnsucht nach einem guten Gefühl als nach meinem Schöpfer und Erlöser. Ich suche Versöhnung, Zuversicht, Geborgenheit, Freiheit, Gemeinschaft oder Stille. Suche ich Gott? Auch wenn sein Weg gerade durch Konfrontation, Enttäuschung, Unsicherheit, Verzicht, Einsamkeit oder Unruhe führt? Ich hoffe, versuche, übe es.

Gut, dass Gottes Ja zu mir nicht davon abhängt. Dass er sich nicht erst finden lässt, wenn unsere Sehnsucht nach ihm aus allem weltlichen Verlangen herausdestilliert ist. Dass er immer schon zu uns unterwegs ist, bedingungslos und beharrlich.

Das haben wir im Advent gefeiert: dass Gott unermüdlich zu uns unterwegs ist, und dass er heute bei dir und mir ankommen will. Ich wünsche uns ein "adventliches" 2014, das unsere Sehnsucht nach Gott weckt und belebt, und das uns auf den Weg lockt, den wir gehen sollen: Gott entgegen und mit ihm in diese Welt.

Leitartikel im Gemeindebrief Dezember/Januar der Hoffnungskirche Bielefeld

Mittwoch, 1. Januar 2014

Anderer Advent

Advent? Der ist doch gerade endlich wieder vorbei, oder? - Nun ja, nicht wirklich. Überstanden ist (große Erleichterung!) tatsächlich wieder einmal der Klingglöckchen-im-Kaufhaus-Advent. Uff! Dann haben wir doch jetzt die Hände frei, um aus vertrocknenden Tannenzweigen und zerknülltem Geschenkpapier wieder den anderen, eigentlichen Advent freizulegen...

Eine große Hilfe ist mir  dabei in den letzten Jahren ein besonderer Adventskalender: der Andere Advent. Ein Kalender, der schon rein äußerlich über die Adventszeit hinausreicht, nämlich bis zum Dreikönigstag im neuen Jahr. Mit Texten und Bildern, die zu einem Advent, einem Erwarten einladen, das weit über die Weihnachtszeit hinausgeht. Wie zum Beispiel dieser Text aus den letzten Tagen:

Anbeginn

Mein Leben setzt sich zusammen:
Ein Tag wie dieser. Ein anderer Tag.
Glut und Asche und Flammen.
Nichts gibt es, was ich beklag.

Früher hab ich so gefühlt:
Irgendwas Großes wird sein.
Inzwischen bin ich abgekühlt:
Es geht auch klein bei klein.

Was soll schon Großes kommen?
Man steht auf, man legt sich hin.
Auseinandergenommen,
Verlieren die Dinge ihren Sinn.

Doch manchmal sind solche Stunden
Von Freiheit vermischt mit Wind.
Da bin ich ungebunden,
und möglich wie als Kind.

Und alles ist noch innen
In mir und unverletzt.
Und ich fühle: gleich wird es beginnen.
Das Wunder kommt hier und jetzt.

Was es sein soll? Ich kann es nicht sagen.
Und ich weiß auch: das gibt es gar nicht.
Aber plötzlich ist hinter den Tagen
noch Zukunft ohne Pflicht.

Und frei von Furcht und Hoffen,
Und also frei von Zeit.
Und alle Wege sind offen.
Und alle Wege gehn weit.

Und alles kann ich noch werden,
Was ich nicht geworden bin.
Und zwischen Himmel und Erden
Ist wieder Anbeginn.

Eva Strittmatter